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Regionales

15:42 Uhr | 04.03.2021

Stellungnahme des NABU zum Viaduktradweg

Der Viaduktweg im Gegenwind.

 

Es war zu erwarten, dass es nicht nur Befürworter für den Viaduktweg gibt, insbesondere, wenn der Naturschutzbund (NABU) als Flächeneigner bestimmt, was auf der Fläche geht und was nicht. 

 

Nachdem das Kind „Viaduktradweg“ nach vielen Jahren Bemühungen des Viaduktradwegvereins, der Gemeinden, der Stadt Altenburg und des Landkreises 2014 endgültig in den Brunnen gefallen war und die Deutsche Bahn entschied, dem Radwegprojekt keine Chance mehr zu geben, klopfte der Viaduktradwegverein beim NABU Altenburger Land an. Im Naturkundemuseum Mauritianum entwickelten die Naturforschende Gesellschaft und der NABU ein neues Konzept für das Projekt, in dem aber der Biotopverbund und das Naturerleben im Vordergrund stehen. Mit dem etwas sperrigen Projektnamen „Naturerleben, zu Fuß und Rad“ ging man bei der Bahn erneut an den Verhandlungstisch. 2016 erhielt die NABU-Stiftung „Nationales Naturerbe“, nachdem die Strecke zum Verkauf ausgeschrieben wurde, den Zuschlag und für den Kauf von der Stiftung Naturschutz Thüringen eine Zuförderung. Der Großteil der finanziellen Mittel wurde jedoch durch Spenden von NABU-Mitgliedern aus ganz Deutschland aufgebracht. Nach langen Verhandlungen entschied sich die Bahn dafür, die Viadukte in ihrem Eigentum zu belassen und vereinbarte eine Verpachtung an den Viaduktradwegverein. Somit war der Grundstein für einen durchgängigen Streckenverlauf von Kotteritz bis zur Landesgrenze gegeben.

 

Mit dem Bekanntwerden des neuen Eigentümers 2016 meldeten sich einige benachbarte Feldnutzer, da sie bisher zum Teil bis 20 Meter breite Randstreifen ohne Verträge nutzten. Mit ihnen wurden die neuen Nutzungsgrenzen vereinbart. Die meisten angrenzenden Agrarbetriebe jedoch bestellten weiterhin die Flächen des „neuen Nachbarn“, obwohl ihnen die Eigentumsgrenzen bekannt waren und beantragten dafür sogar EU-Förderungen. Einige gingen sogar so weit, dass sie die nicht rechtmäßig genutzten Flächen vertraglich mit anderen Landwirtschaftsbetrieben tauschten. Mit der Grenzanzeige durch ein Vermessungsbüro Ende 2020 zeigte sich dann das Ausmaß dieser unrechtmäßigen Flächennutzung. Schulterzucken bei den Landwirten: „Dann ist das halt so“, so der Tenor, denn es ist ja klar, dass der Eigentümer im Recht ist. Dass Bauernverbandschef Bernd Apel der Meinung ist, der NABU hätte mindestens ein halbes Jahr vorher anzeigen müssen, dass er seine eigenen Flächen nutzen wolle, ist grotesk und befremdend. Mit dieser Meinungsäußerung erwies Apel seinem Verband eher ein Bärendienst, denn dadurch wird diese Praxis erst öffentlich bekannt.

 

Noch trauriger ist jedoch, dass sich Bauernverbandschef Apel von Jagdvorsteher Wolfgang Schleicher missbrauchen lässt.  Als Anfang 2018 Vereinsmitglieder von NABU und Viaduktradwegverein sowie zahlreiche Bürger mit dem Freistellen der Trasse und dem Aufbringen von Sand begannen, zeigte Schleicher den NABU bei der Naturschutzbehörde an. Im Vorfeld war vom zuständigen Artenschutzreferenten der Behörde richtigerweise festgestellt worden, dass die Beseitigung von Aufwuchs und der Sandauftrag positiv für geschützte Arten, wie die Zauneidechse, sind. Ebenso stellte die Bauordnungsbehörde fest, dass dieser Sandauftrag keines Bauantrags bedarf, im Gegensatz dazu aber Bauanträge zur Errichtung der fehlenden Brücken korrekt gestellt wurden. Jagdvorsteher Schleicher ließ die Muskeln spielen, drohte dem Bauarbeiter, der den Sand aufbrachte, persönlich mit rechtlichen Schritten und dem Mitarbeiter der Naturschutzbehörde des Landkreises schriftlich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Als damaliges Mitglied des Kreistages (Die Regionalen) hatte das Gewicht – Resultat: Die Naturforschende Gesellschaft musste ein Gutachten in Auftrag geben, um abschätzen zu lassen, ob Gefahren für die Natur bestehen. Schleichers Auflistung beinhaltete außer Brutvögel, die Zauneidechse, den Siebenschläfer und sechs Arten von großen Laufkäfern der Gattung Carabus. Das Gutachten wies aus, dass die meisten Arten für so ein Vorhaben naturschutzrechtlich irrelevant sind oder sogar von der Maßnahme profitieren. Schleicher hatte es jedoch geschafft, dass der Sandauftrag vorrübergehend gestoppt wurde. 

Mit den gleichen „Argumenten“ von Schleichers Auflistung 2018, die ja bereits durch das unabhängige Gutachten entkräftet wurden, versucht nun Bauernverbandsvorsitzender Apel gemeinsam mit Jagdvorsteher Schleicher mittels Strafanzeige die Arbeiten am Viaduktweg erneut zu blockieren. Zudem sieht Apel eine Gefahr in der geplanten Beweidung mit Ziegen und Schafen, die im Auftrag des NABU zukünftig für die Offenhaltung von Hangbereichen entlang des Weges sorgen sollen, da nach Apels Meinung diese die Zauneidechsen und Käfer zertreten würden. 

 

Mit Kopfschütteln reagiert der Vorsitzende der Naturforschenden Gesellschaft Altenburg, Tierarzt Dr. Steffen Schmidt: „Wie weit entfernt kann man nur von natürlichen Vorgängen in der Natur sein? Dass Ziegen und Schafe als Landschaftspfleger eine wichtige Rolle spielen und die Lebensräume zum Beispiel für Reptilien erhalten, ist mittlerweile Allgemeinbildung. Warum der Bauernverband hier gegen ein Projekt schießt, welches Weidetiere in die Landschaft bringt, statt diese nur im Stall ihr Dasein fristen zu lassen, ist unerklärlich. Das kann nur eine Einzelmeinung sein.“

 

In der Tat sind viele Tierarten, insbesondere Insektenarten, an das Vorkommen von Weidetieren bzw. ihre ausgerotteten natürlichen Vorgänger, Auerochse, Wildpferd und Co., gebunden. Die Großen Laufkäfer zum Beispiel, die die Landwirte Schleicher und Apel anführen, haben sich in Koevolution mit den ausgestorbenen großen Grasfressern wie z. B. Auerochse und Wildpferd entwickelt. Sie kommen im lichten Wald und auf Grasland vor, welches lückig gefressen wurde und vegetationsfreie Bereiche aufweist. Wildpfade, aber auch die Pfade der Weidetiere werden von Laufkäfern in der Nacht für die Jagd auf Insekten, Schnecken und Würmer aufgesucht. Aber auch der lichte Acker, solange es auf diesem etwas zum Jagen gibt, dient als Nahrungsraum. Heute finden die Laufkäfer auf den konventionell bewirtschafteten Äckern jedoch kaum noch Beutetiere, so dass der Großteil der Landschaft als Lebensraum ausfällt. Ebenso gibt es kaum noch beweidetes Grünland, denn die Nachfahren des Auerochsen stehen im Stall und die Wiesen werden mit Gülle lückenlos fett und dadurch artenarm gemacht. Pestizide vernichten noch den letzten Rest an Artenvielfalt. Dass gerade zwei Landwirte dieser industriellen Landwirtschaft Arten als Argumente nutzen, die durch die Landwirtschaft ihre Lebensgrundlage verlieren, ist unverschämt. 

 

Auslöser für dieses Dilemma des Umganges mit Natur ist nicht der Einzellandwirt, sondern das System, welches von der Gesellschaft vorgegeben wird. Die industrielle Landwirtschaft wird gefördert, weil sie den Wohlstand des Konsumenten sichert. Der möchte wenig Geld für viele Produkte ausgeben. Andererseits fördert, wenn auch in geringem Umfang, die Gesellschaft den Weg zur Umkehr, wie die biologische Landwirtschaft oder Möglichkeiten, um Artenvielfalt auf Äcker zu bringen. Die Maßnahmen zur Förderung von Naturschutz und Landschaftspflege (NALAP) versuchen punktuell Abmilderungen, z.B. gegen das Insektensterben zu bewirken. Mit solch einer Förderung setzt die Naturforschende Gesellschaft Altenburg das Projekt am Viaduktbahndamm um. Die Finanzierung erfolgt mit Mitteln des Freistaats Thüringen und des Bundes (Mittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes/ Sonderrahmenplan Insektenschutz“). 

 

Ziel der NABU-Stiftung „Nationales Naturerbe“ als Eigentümerin ist, Natur zu entwickeln und dem Menschen nahe zu bringen. Die aus der Ackernutzung genommenen Randstreifen am Bahndamm werden in Grünland umgewandelt, welches wild und lückig, statt einheitlich und monoton ist. Schafe und Ziegen, aber auch Rehe und Wildschweine werden den Zustand beeinflussen, denn der gewählte Zauntyp ist wilddurchlässig und entspricht genau dem, der in ganz Deutschland von Landwirten genutzt wird. So z.B. auch für die große „Wilde Weide“ im Alperstädter Ried, welche vom Agrarbetrieb des Vorsitzenden des Thüringer Bauernverbandes betrieben wird. 

 

Hinweise:

 

Im Naturkundemuseum Mauritianum Altenburg steht die Sonderausstellung „Auerochse, Wildpferd und Co. – Mitteleuropas ausgestorbene BIG FIVE“. Diese Ausstellung wird verlängert und auch noch nach dem Lockdown  zu sehen sein. Sie gibt Einblicke in die Wirkung der großen wilden Grasfresser auf die Natur und warum deren Aussterben ein Teil des heutigen Insektensterbens bedingt.

 

Eigentümer von landwirtschaftlichen Flächen haben gegenüber den Pächtern zahlreiche Möglichkeiten auf die Nutzung Einfluss zu nehmen. FairPachten heißt das Beratungsprojekt der NABU-Stiftung. Hier kann man sich als Eigentümer unkompliziert und kostenfrei beraten lassen, damit die eigenen Flächen umweltfreundlicher bewirtschaftet werden. www.fairpachten.org

 

„Wilde Inseln“ nennt sich das Projekt des NABU Thüringen. Jeder Eigentümer kann selbst entscheiden, ob er Flächen wild entwickeln lässt, damit Natur wieder Einzug halten kann. 

https://thueringen.nabu.de/natur-und-landschaft/aktionen-und-projekte/wildeinseln/index.html



 

Mike Jessat

 

Direktor

Naturkundemuseum Mauritianum Altenburg

 

Vorsitzender

NABU Altenburger Land

 

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