Fragen an die Entscheidungsträger für die Neubebauung des westlichen Marktes.
Ein offener Brief, geschrieben aus Sorge um die historische Altstadt Altenburgs.
1. Die Stadt Altenburg steht vor der einzigartigen Chance, im Herzen der Stadt, auf dem Markt, ein kulturhistorisch und damit auch potentiell touristisch attraktives Areal zu sanieren und durch Neubauten wieder zu vervollständigen. Durch eine vorbildhafte Verbindung von Altem mit Neuem und durch eine vielfältige Nutzung (Wohnungen, Grünanlagen, Geschäfte, Kultur), könnte das Karree zum Schaufenster der Stadt werden. Werden wir, die Bürger der Stadt, dieser Chance gerecht?
2. Die im Krieg unzerstörte historische Altenburger Altstadt ist bis heute in ihrer mittelalterlichen Struktur weitgehend erhalten geblieben. Nach Jahrzehnten des Verfalls gelang in den letzten zwanzig Jahren die Sanierung ganzer Straßenzüge und wertvoller Einzelgebäude. Die über Jahrhunderte gewachsene Altstadt gehört zusammen mit den kulturellen Institutionen zu den Besonderheiten und Anziehungspunkten Altenburgs.
„Altenburg ist Architektur, Geschichte und Kultur.“ (Punkt 1 der Bestandsaufnahme im Leitbild der Stadt Altenburg) Führen Sie sich diesen Umstand bei Ihrer Entscheidung der Neubebauung des westlichen Marktareals vor Augen?
3. „Die Stadt Altenburg gehört zu den wenigen Städten, die einen eigenen Denkmalschutzpreis vergeben. Der Preis ist nach dem barocken Altenburger Ratsbaumeister Johann Georg Hellbrunn benannt und wird seit 1998 jährlich zum ‚Tag des offenen Denkmals’ im Rahmen einer Festveranstaltung verliehen […] Der Altenburger Denkmalschutzpreis soll besondere Leistungen im Bereich Denkmalschutz und Denkmalpflege würdigen und dazu beitragen, die besondere Bedeutung und Notwendigkeit der Erhaltung und Pflege der Kulturdenkmale zu unterstreichen.“ (Aus dem Internetauftritt der Stadt Altenburg)
Das Interesse der Bürgerschaft an historischen Gebäuden, das ist alljährlich an den Tagen des offenen Denkmals zu erleben, wird immer größer – und damit die Identifizierung mit der Stadt. Wird der Preis nicht zur Farce, wenn jetzt eines der letzten erhaltenen Johann Georg Hellbrunn zugeschriebenen Gebäude ohne Not abgerissen werden soll?
4. Doch geht es nicht nur um die Erhaltung des als Einzeldenkmal geschützten Hellbrunn-Hauses, sondern auch um das den Hauptmarkt abschließende Gebäude des 19. Jahrhunderts und um die im vorliegenden Projekt überbaute, jetzt namenlose Gasse, die verlängerte Gerhard-Altenbourg-Straße. Denn vorgesehen ist eine Erweiterung des Areals um 15 Meter in Richtung Süden, das entspricht genau der Breite dieser Straße. Ungeklärt ist, wie die angrenzende Brache an der Spiegelgasse bebaut werden soll, das könnte ein sinnvoller Standort für einen größeren Laden und Parkdecks sein.
Am prominentesten Ort der Stadt, dem Markt, sollten die historischen Schichtungen der Bürgerstadt eine Verbindung mit der Gegenwart eingehen – die mittelalterliche Struktur, die Gebäude des 18. und 19. Jahrhunderts mit modernem Wohnungsbau, der die architektonischen Besonderheiten und vor allem Proportionen der Stadt aufnimmt. Das ist die einfachste und wahrscheinlich auch kostengünstigste und eine dem Rang der Stadt angemessene Lösung! Bedenken Sie bei Ihrer Entscheidung, dass nicht nur für die nächsten Jahre gebaut wird, sondern für mindestens ein Jahrhundert und dass Sie sich messen lassen müssen an der Qualität stadtplanerischer Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart in Altenburg und andernorts? Ein ganz aktuelles und vergleichbares Beispiel ist der Sonnenhof am Markt von Jena.
5. „ Das Eigene entwickeln“: Darüber denken heute viele große und kleine deutsche Städte nach, seit die architektonisch und stadtplanerisch uniformen Nachkriegssünden als solche erkannt worden sind. Was bei uns original vorhanden ist, wurde woanders aufwendig historisierend nachgebaut: Die Römerbebauung in Frankfurt am Main, das Neumarktumfeld in Dresden und vieles mehr.
Die scheinbar unrentierliche Sanierung originaler historischer Bauten wird durch Städtebaufördermittel des Bundes und des Landes gefördert. Haben Sie die Bedingungen solcher Förderungen geprüft? Denkmalschutz behindert nicht das Bauen, er befördert die urbane Vielfalt auf Dauer. Aus dieser Erkenntnis heraus wurden Gesetze zum Schutz von Denkmalen erlassen.
6. Die Bürger der Stadt hatten nur an einem Abend die Möglichkeit, das Modell und die Zeichnungen zu sehen. Die Kostenplanung wurde nicht erläutert. Sollten die kompletten Planungsunterlagen (mit den Kostenberechnungen und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen) nicht mindestens einen Monat lang zur Einsicht vorgestellt werden?
„Altenburg soll eine mittelständisch strukturierte Stadt mit hoher Lebenskultur und den Schwerpunkten Kultur, Geschichte, Architektur und Wohnen sein. Altenburg muss dafür infrastrukturell gut erschlossen und verkehrstechnisch angebunden sein sowie durch eine wertorientierte Bürgerschaft gestaltet werden.“ (Leitbild der Stadt Altenburg, 2008)
Diese wertorientierte Bürgerschaft meldet sich jetzt zu Wort.
7. Es bedarf eines Masterplanes, eines Blockkonzeptes. Wie kann man die Planung eines so zentralen Areals vornehmen, ohne das Umfeld im Blick zu haben? Also Topfmarkt, Klostergasse, Spiegelgasse, Brüdergasse, Bei der Brüderkirche, Gerhard-Altenbourg-Straße. Dasselbe gilt für Ernestinum, Josephinum und auch Gebäude in nicht städtischem Besitz wie das Reichenbachsche Haus, im 19. Jahrhundert ein kulturelles Zentrum der Stadt, oder das Reichenbachsche Palais. Und die zu bebauenden Brachen und leer stehenden Häuser und Wohnungen. Wir sind sicher, dass hoch motivierte Architekten, Stadtplaner und Stadtentwickler aus der Region und von außerhalb für Spesen und in Zusammenwirken mit der Architektenkammer und Städtebau-Instituten an einer Ideen-Werkstatt teilnähmen. Sie kann kurzfristig anberaumt und vorbereitet werden und im Frühjahr 2010 stattfinden.
8. Unverständlicherweise wurde die Planung ohne Ausschreibung oder Architektenwettbewerb – mit der Bedingung einer sensiblen Stadterneuerung auf höchstem Niveau und unter Einbeziehung bestehender wertvoller intakter Bausubstanz – vorgenommen. Lässt sich das rechtfertigen angesichts der Bedeutung dieses Areals für die Stadt?
Wenn die Stadtverwaltung sich durch eine komplizierte personelle Situation nicht in der Lage sieht, die Vorleistungen für Wettbewerbe zu erbringen, warum nutzt sie dann nicht Fachkompetenz von außen? Wettbewerbe und deren externe Betreuung werden bis zu 80 % gefördert. Das Ergebnis, eine spannungsvolle Verbindung von alten und neuen Bauten und die Erhaltung der Straßenführung, könnte die Stadt im positiven Sinne in die Schlagzeilen bringen.
Noch ist Gelegenheit, ein Gutachterverfahren unter Einbeziehung externer Fachleute in die Wege zu leiten.
9. Zu den Kosten. Die Sanierung des gut erhaltenen Barockhauses soll eine Million kosten, zunächst war sogar die Rede von Mehrkosten in dieser Höhe. Der Stadt liegt ein unabhängiges Gutachten vor, das je nach Aufwand bei der Sanierung Kosten von 615.000 bis 816.000 Euro bemisst. Im Falle eines Abrisses des barocken Hauses und eines Neubaus müssen neben den Kosten für den Neubau auch die des Abrisses, der Gründung und der stadtarchäologischen Untersuchungen gegengerechnet werden.
Erscheinen nicht jedem, der schon einmal gebaut oder saniert hat, die veranschlagten Gesamtkosten für das Areal in Höhe von 5 Millionen Euro als zu gering? Schon der Laie müsste sich fragen: Wenn ein mittelgroßes und gut erhaltenes barockes Haus (rund 1900 cbm) für eine Million saniert werden soll, was kostet dann eine Baumasse von insgesamt 28.000 cbm (davon 11.000 cbm für eine zweigeschossige Tiefgarage mit darüber liegender Grünanlage und 17.000 cbm für Gebäude)?
Bei einer kleineren Lösung als der vorliegenden könnten schrittweise die Häuser des 18. und 19. Jahrhunderts saniert sowie Neubauten errichtet werden – es gäbe keinen Zeitdruck und die meisten Arbeiten könnten örtliche Handwerker übernehmen. Auch käme eine kleinteiligere Bebauung den ansässigen Händlern und Gewerbetreibenden entgegen, die zu Recht auf die Sinnhaftigkeit des Marktes hinweisen.
Dieser Brief entstand in der Hoffnung, dass Sie in der Stadtratssitzung am 29. Oktober 2009 verantwortungsbewusst die bestmögliche Entscheidung für Altenburg treffen und das Zentrum der Stadt ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Seien Sie gewiss, dass uns der Wunsch eint, das Areal bald wieder vollständig bebaut und genutzt zu sehen. Es gibt jedoch keinen Grund, diese die Entwicklung der Stadt so prägende Entscheidung ohne weitsichtige wie umsichtige Planung und ohne ein demokratisches, die Bürger der Stadt einbeziehendes Verfahren durchzuführen. Die Verabschiedung des Aufstellungsbeschlusses würde Alternativen unmöglich machen und die Chance einer zukunftsorientierten Bebauung vergeben.
Ortskuratorium Altenburg/Altenburger Land der Deutschen Stiftung Denkmalschutz
Bürgerverein Altenburg-Altstadt e.V.
Freundeskreis der Brüderkirche e.V.
Ev.-Luth. Kirchgemeinde Altenburg
Mitglieder des Denkmalbeirates der Stadt Altenburg
Stadtforum für behutsamen Stadtumbau Leipzig
Institut für Integrierte Stadtentwicklung Leipzig
Interessierte und engagierte Bürger der Stadt Altenburg und an der Stadt Anteil nehmende Auswärtige – eine Unterschriftenliste wird dem Stadtrat am 29. Oktober 2009 übergeben.